Kapitel 19 -Cliffhanger-

Dienstag, 3. November 2015

Endlich ein Schreiben vom MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen)! Ich kam vom Bäcker, öffnete den Briefkasten, und da war es, das langersehnte Schreiben, zwischen einer Rechnung meiner Hausratversicherung und einem Katalog “Festlicher Chic” in Übergrößen.
Ich konnte den Brief gar nicht sofort aufmachen, erst mal Kaffee kochen und frühstücken, es könnte ja auch ein ablehnender Bescheid sein, und das auf nüchternen Magen … Lieber nicht. Wie vorausschauend von mir, denn der Brief enthielt:
“ … die als Anlage beigefügten Unterlagen wurden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. In der Anlage sende ich Ihnen diese mit bestem Dank zu unserer Entlastung zurück. Über die Kostenübernahme entscheidet die Krankenkasse. Bei diesbezüglichen Fragen wenden Sie sich bitte dorthin.”
Das habe ich gerade getan, indem ich dort anrief. Dort erfuhr ich, dass ein Schreiben mit heutigem Datum an mich unterwegs sei.
“Da steht drin, dass die Kostenübernahme abgelehnt ist. Das ist ein längeres Schreiben, müssen Sie sich mal in Ruhe durchlesen”, erklärte der Mann am anderen Ende der Leitung.

A B G E L E H N T ! ! !

Jetzt sitze ich hier und heule.




Mittwoch, 4. November 2015

Hatte ich schon einige Male in den letzten Wochen der Wartezeit meine Stimmung auf dem Tiefpunkt gesehen, so hat mich die gestrige Information noch weiter runtergerissen. ‘Schlimmer geht immer’, einer meiner Merksätze, trifft hier leider zu. Ich habe mit tränenverschleiertem Blick eine Nachricht an Jörg (Dauerverlobter, auch ‘Der Doktor’ genannt) geschickt, der umgehend zurückrief, um mich zu trösten. Ich war etwas irritiert, weil er diese Information gar nicht so tragisch fand, wie ich es tat. Er hörte sich beinahe heiter an, so als riebe er sich insgeheim schon die Hände, um den Kampf gegen diesen Bescheid der Krankenkasse aufzunehmen.
“Da ist das letzte Wort noch nicht gefallen. Das kriegen wir hin. Jetzt komme ich ins Spiel. Damit kenne ich mich aus”, so seine Worte.
Es hörte sich beinahe so an, als wäre er froh, nun endlich tätige Hilfe leisten zu können, anstatt mich in meinem Unterfangen ‘nur’ moralisch und finanziell zu unterstützen. Und tatsächlich kennt er sich aus in diesem Gesundheits-Business. Der Herr Doktor arbeitet als Betriebsarzt bei einem weltweit agierenden Logistik-Unternehmen und hat täglich mit Anträgen an die Krankenkassen und Gutachten zu tun.
“Medizin nach Kassenstand! Und das Jahr ist fast vorbei, die Kassen sind leer. Da wird mal schnell alles abgebügelt, was am Anfang eines Geschäftsjahres ohne Weiteres bewilligt wird”, echauffierte er sich am Abend in meiner Küche.
Im Nachhinein bin ich froh, dass ich den Zeitpunkt der OP für dieses Jahr schon abgeschrieben und einen Termin erst nach Aschermittwoch ins Auge gefasst hatte. Es ändert sich damit nicht wirklich etwas, nur eine Ausweitung der Kampfhandlungen im Papierkrieg steht auf dem Programm.



Samstag, 7. November 2015

Das Schreiben von der Krankenkasse ist da. Die Begründungen für die Ablehnung sind erstaunlich, es sieht so aus, als habe sich der zuständige Mitarbeiter so seine Gedanken gemacht, was denn gegen die Bewilligung sprechen könnte, und dann werden da Vermutungen aufgezählt:
“Es gibt Kontraindikationen, die gegen die Durchführung der Magenschlauchbildung sprechen könnten, wie z.B. eine unbehandelte schwere Essstörung oder eine Bulimie-Symptomatik oder auch eine unbehandelte hochgradige depressive Entwicklung oder eine Traumabelastung.” Die Kasse verlangt ein weiteres fachpsychiatrisches Gutachten. Ausserdem sei die Bewegungstherapie nicht komplett zeitgleich zur Ernährungsberatung dokumentiert, schreibt das Team-Leistungsberatung.
Wie schön, dass ich hier in meinen Aufzeichnungen alles selber dokumentiert habe, was mir dann dabei helfen sollte, die Dokumentation meiner Aktivitäten beim St.-Franziskus-Krankenhaus zu recherchieren.
“Ich krieg die Pimpernellen”, hätte meine Mutter gesagt.
Immerhin, es heißt in dem Schreiben, das die Kasse die Kosten “noch nicht” übernehmen kann. Das gibt ja zu den schönsten Hoffnungen Anlass! Es bedrückt mich natürlich trotzdem, denn das ist alles wieder mit haufenweise Schriftverkehr, Telefonaten, Terminen und Kosten verbunden. So auf der ganz persönlichen Ebene lese ich aus diesem Schrieb, dass ich eventuell zu bekloppt bin, um mir den Magen verkleinern zu lassen. Sicherlich sollte ich das nicht so persönlich nehmen, aber es ist persönlich, verdammt noch mal, es steht mein Name auf dem Zettel: Sehr geehrte Frau Radtke …